Stimmen aus der Ärzteschaft

Aufklärung ist dringend nötig!

Prof. Dr. Andreas Günthert, 2002 - 2007 Oberarzt Univ.-Frauenklinik Göttingen, 2007 – 2012, Stv. Chefarzt Gynäkologie Univ.-Frauenklinik Bern, 2013 – 2018 Chefarzt Frauenklinik Luzerner Kantonsspital, seit Nov. 2019 in eigener Praxis www.gyn-zentrum.ch. Mitverfasser der LS Behandlungsleitlinien 2015.
Die Vulva ist das äussere Genitale der Frau. Leider ist dieses Organ kulturell immer noch ein Mysterium, selbst den meisten Frauen ist der Begriff «Vulva» nicht geläufig. Ein Organ, das kaum existiert, kann auch nicht per se erkranken. Das kulturelle und sprachliche Defizit überträgt sich auch auf die Medizin: Beschwerden in diesem äussern Genitalbereich werden oft fehlinterpretiert und nicht korrekt behandelt. Selbst Frauenärzte sind bezüglich Krankheiten der Vulva kaum ausgebildet. In Punkto Aufklärung zum Thema Vulva und Vulvakrankheiten gibt es in der allgemeinen Bevölkerung wie auch in der Medizin noch vieles nachzuholen.

Dr. Ines Vaz, Luzern, 2014 Assistenzärztin Luzerner Kantonsspital, Sursee/Luzern, 2015-2018 Oberärztin Gynäkologie und Geburtshilfe, Luzerner Kantonsspital, Luzern, seit 11/2018 Fachärztin Gynäkologie und Geburtshilfe, gyn-zentrum ag, Luzern. Zitate aus einem Artikel bei Vitagate/Drogistenstern, Juli 2020
Die wenigsten Frauen und Männer haben je von der Krankheit Lichen sclerosus gehört, und auch viele Gynäkologinnen und Gynäkologen kennen sich nicht gut aus damit. So entsteht für Betroffene oft ein jahrzehntelanger Leidensweg. Bevor solche Patientinnen zu uns in die Behandlung kommen, haben sie häufig schon mehr als drei verschiedene Ärzte konsultiert. Viele leiden schon über mehrere Jahre an Beschwerden wie Jucken, Brennen, Schmerzen beim Sex und Wasserlassen.

Prof. Werner Mendling, Facharzt für Frauenheilkunde vom Deutschen Zentrum für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe in Wuppertal, Experte für Hauterkrankungen im Genitalbereich, Zitate aus der Frauenzeitschrift Brigitte, Juli 2020: Immunerkrankungen der Haut im Genitalbereich werden oft falsch behandelt und erst spät oder gar nicht erkannt. Dazu zählt Lichen sclerosus als häufigste der vulvovaginalen Erkrankungen, nach Schätzungen ist jede 50. Frau betroffen. Trotzdem befindet sich LS im dermatologisch-gynäkologischen Niemandsland, da viele Frauen vaginale Erkrankungen nicht dem Hautarzt zeigen und Gynäkologen/-innen wiederum das Krankheitsbild häufig nicht kennen, weil es nicht Bestandteil des Studiums ist.

Dr. med. Melanie Todt / Institut für Rechtsmedizin / Medizinische Hochschule Hannover, 2019 in Korrespondenz mit dem Verein Lichen Sclerosus:
Vielen lieben Dank für die Informationen und das übersandte Material. Wir haben uns sehr darüber gefreut und das Material direkt in unserem Untersuchungsraum platziert. In unserer Kinderschutzambulanz untersuchen wir regelmäßig Kinder mit Verdacht auf sexuellen Missbrauch und stellen dann immer wieder die Diagnose eines Lichen sclerosus. Auch wenn wir die Erkrankung erkennen und ärztliche Kollegen sind, dürfen wir in der Rechtsmedizin keine Behandlung durchführen. Aus diesem Grund können wir die Familien lediglich mit der Diagnose zum zuständigen Kinderarzt schicken und die dortige Behandlung veranlassen. Aber jetzt können wir den Betroffenen zumindest noch ihr Informationsmaterial ans Herz legen.

Dr. Barbara Eberz, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Referenzzentrum für Vulvaerkrankungen, A-8680 Mürzzuschlag, in Korrespondenz mit dem Verein Lichen Sclerosus:
Als erstes darf ich ihnen meine Anerkennung für Ihr großartiges Engagement aussprechen, was Sie und Ihre MitarbeiterInnen im Verein Lichen sclerosus leisten sucht seinesgleichen. Betreffend die Situation in Österreich kann ich Ihnen nur auf voller Linie zustimmen: Das Wissen um diese häufige Erkrankung ist von ärztlicher Seite in vielen Fällen schlicht katastrophal und dementsprechend furchtbar sieht es mit der Betreuung von Betroffenen aus. Ich wünsche Ihnen und allen Vorstandsmitgliedern sowie allen Vereinsmitgliedern alle erdenkliche Kraft für Ihr nicht mehr wegzudenkendes Engagement für Lichen sclerosus PatientInnen und auch darüber hinaus allgemein Frauen mit Vulvaerkrankungen!!

Dr. habil Gudula Kirtschig, Fachärztin Dermatologie & Venerologie, Frauenfeld CH, Mitverfasserin der LS Behandlungsleitlinien 2015. Autorin verschiedener Fachbücher und Artikel zum Thema
Der Lichen sclerosus ist eine chronische, entzündliche Hautkrankheit, die vorwiegend im Genitalbereich vorkommt. Er kommt häufiger vor, als in Lehrbüchern beschrieben, wird aber von Ärzten wenig beachtet; es sind nach jetzigem Kenntnisstand mehr Frauen als Männer betroffen. Der Lichen sclerosus geht bei vielen Frauen mit unerträglichem Juckreiz und Vernarbungen einher, die auch zu Funktionseinschränkungen führen können. Eine frühe und konsequente Behandlung kann diese Symptome und Folgen bei vielen Patienten gut behandeln. Der Lichen sclerosus ist außerdem mit einem leicht erhöhten Krebsrisiko im Genitalbereich assoziiert, dieses kann ebenfalls durch eine frühe und konsequente antientzündliche Behandlung verringert werden.

Dr. med. Renate Hürlimann, Leitende Aerztin Kinder- und Jugendgynäkologie, Kinderschutz- und Opferhilfeberatungsstelle Universitätskinderkliniken Zürich/Eleonorenstiftung, 2020:
Als Kinderärztin und Kinder- und Jugendgynäkologin habe ich in den letzten 25 Jahren folgende Erfahrungen gemacht: Mädchen mit Lichen sclerosus  haben immer noch einen sehr langen (Jahre!!) Leidensweg hinter sich bis die Diagnose gestellt wird. Meist werden sie inadäquat behandelt mit Pilzcremen, unnötigen Sitzbädern usw. und das Thema Juckreiz und Brennen wird als normal heruntergespielt. Kinderärzte/innen haben immer noch wenig Erfahrung in der Untersuchung des weiblichen Genitales! Dies wird in der Ausbildung vernachlässigt. Sehr oft sind es die Mütter, die dann von den behandelnden Ärzten/innen eine Überweisung in die kindergynäkologische Sprechstunde verlangen. Nicht selten erfolgt die Zuweisung auf die Notfallstation, wenn genitale Blutungen auftreten, mit der Frage nach Verletzung der sexuellen Integrität, ein Thema, was die Familie psychisch zusätzlich belastet.
Die Diagnose und die Option auf eine Behandlung mit dann Beschwerdefreiheit erlebe ich als grosse Entlastung bei den betroffenen Familien und Mädchen. Dank Fortbildung der Kinder- und HausärztInnen in Kindergynäkologie sehe ich in den letzten 5 Jahren einen Weg hin zur früheren Diagnosestellung und adäquater Behandlung. Leider nehmen fast nur weibliche ÄrztInnen an diesen Fortbildungen teil.
Das weibliche Genitale ist für viele Fachpersonen ein Tabu. Das beginnt schon bei der Geburt: Die Anatomie des äusseren weiblichen Genitals resp. Vulva wird den Eltern nicht erklärt, sondern sogar suggeriert: Nicht berühren, dabei wird auch das Hinschauen und die zukünftige Hygiene vernachlässigt. Dabei ist mit beiseiteschieben der äusseren Schamlippen der Scheidenvorhof mit Harnröhre und Scheideneingang gut darstellbar und es kann nicht zu einer Verletzung des Jungfernhäutchens kommen.
Beim Knaben hingegen wird das äussere Genitale bei der Geburt thematisiert, Penis mit Vorhaut angeschaut und Hoden palpiert.
Oft erlebe ich Mütter nach der genitalen Untersuchung der Tochter wie folgt: „Jetzt verstehe ich was wo ist, endlich hat mir das jemand die Anatomie erklärt!“
Trotz erfreulichen Fortschritten vor allem in der Sexualaufklärung,  bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig junge Frauen und Teenager ihren Genitalbereich kennen und wie viele Mythen immer noch bestehen. Aufklärung ist weiterhin notwendig, insbesondere damit der lange Leidensweg dieser Mädchen und Frauen mit Lichen gekürzt wird.

Stimmen aus der Apothekerschaft, dem Pflegepersonal und einer Hebamme

Caterina Riva, Apothekerin und Besitzerin der Apotheke Unitobler, Bern. August 2020: Lichen Sclerosus war für uns alle unbekannt. Erst eine Schulung des Vereins Lichen Sclerosus im 2019 hat uns diese Krankheit bewusst gemacht. Seitdem sind wir alle wachsam geworden, wenn es um Symptombeschreibungen geht, die in Richtung Lichen Sclerosus gehen und wir haben die Möglichkeit, die Patientinnen darauf hinzuweisen, dass sie einen Dermatologen oder Gynäkologen aufsuchen sollen. Zudem können wir den Prospekt des Vereins LS als Informationsquelle mitgeben (z.B. den Selbstuntersuchungsflyer). Die Schulung in Apotheken über dieses Thema ist sehr wertvoll und wird hoffentlich dazu führen, dass diese Krankheit früher erkannt werden kann.
 
Österreichische Apothekenkammer, 2019 – Artikel Lichen Sclerosus - Eine bislang wenig beachtete Erkrankung: Zitat: Bei Lichen sclerosus handelt es sich um eine auch im pharmazeutischen und medizinischen Fachbereich häufig wenig bekannte Erkrankung. Die mangelnde Aufmerksamkeit für diese Hautkrankheit resultiert in zu seltenen Diagnosen und Therapien.
 
Christine Roth / Christiane della Pietra, Sozialdienst/Pflegeleitung, Reusspark Zentrum für Pflege und Betreuung, August 2020: Wir haben noch nie von der Krankheit Lichen sclerosus gehört.
 
Von LS selber betroffene Frau (58), Hebamme, 2019: Ich danke Ihnen im Verein Lichen Sclerosus für Ihre hochnotwendige Arbeit. Erst durch Ihre detaillierte Beschreibung der Symptome und das umfassende Informationsmaterial auf Ihrer Website konnte ich meinen eigenen Stand der Erkrankung begreifen und einordnen. Ich bin seit 35 Jahren als leitende Hebamme tätig und habe noch nie vorher von dieser Krankheit gehört. Wie es scheint, mein behandelnder Arzt auch nicht.